„Praktisch“ ein Musterfall für die Abgrenzung zwischen Tatsache und Wertung

Gericht

OLG München


Art der Entscheidung

Hinweisbeschluss


Datum

03. 02. 2010


Aktenzeichen

18 U 5409/09


Tenor

  1. Der Senat beabsichtigt, die Berufung des Verfügungsklägers gegen das Endurteil des Landgerichts München I vom 2.11.2009 zurückzuweisen.

  2. Es besteht Gelegenheit zur Stellungnahme bis 22.2.2010.

Entscheidungsgründe


Gründe:

Die Berufung des Verfügungsklägers ist ohne Aussicht auf Erfolg (§ 522 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO). Auch die Voraussetzungen von § 522 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 und Nr. 3 ZPO liegen vor. Das Landgericht hat dem im Wege der einstweiligen Verfügung geltend gemachten Anspruch auf Abdruck einer Gegendarstellung zu Recht nicht entsprochen. Die Berufung führt auch hinsichtlich des hilfsweise geltend gemachten Gegendarstellungsbegehrens in geänderter Fassung nicht zum Erfolg.

1. Hauptantrag

Der Verfügungskläger kann von der Verfügungsbeklagten nicht den Abdruck der begehrten Gegendarstellung gemäß Art. 10 Abs. 1 Satz 1 BayPrG verlangen, weil sich die Gegendarstellung mit dem Satz "Zu keinem Zeitpunkt habe ich im Finanzministerium in Nordrhein-Westfalen Hausverbot erhalten." nicht gegen eine Tatsachenbehauptung des Inhalts, dass der Verfügungskläger Hausverbot erhalten hätte, wendet.

Für die Beurteilung der Frage, ob eine Äußerung als Tatsachenbehauptung oder Meinungsäußerung bzw. Werturteil einzustufen ist, bedarf es nach ständiger Rechtsprechung der Ermittlung des vollständigen Aussagegehalts. Insbesondere ist jede beanstandete Äußerung in dem Gesamtzusammenhang zu beurteilen, in dem sie gefallen ist. Sie darf nicht aus dem sie betreffenden Kontext herausgelöst einer rein isolierten Betrachtung zugeführt werden (BGH, Urteil vom 22.9.2009 - VI ZR 19/08; BGHZ 132, 13, 21; vom 28.6.1994 - VI ZR 252/93; vom 16.11.2004 - VI ZR 298/03; vom 3.2.2009 - VI ZR 36/07). So dürfen aus einer komplexen Äußerung nicht Sätze oder Satzteile mit tatsächlichem Gehalt herausgegriffen und als unrichtige Tatsachenbehauptung untersagt werden, wenn die Äußerung nach ihrem - zu würdigenden - Gesamtzusammenhang in den Schutzbereich des Grundrechts auf freie Meinungsäußerung gemäß Art. 5 Abs. 1 GG fallen kann und in diesem Fall eine Abwägung zwischen den verletzten Grundrechtspositionen erforderlich wird (BGH, Urteil vom 22.9.2009 - VI ZR 19/08; vom 25.3.1997 - VI ZR 102/96; vom 16.11.2004 - VI ZR 298/03; vom 2.12.2008 - VI ZR 219/06; vom 3.2.2009 - VI ZR 36/07). Dabei ist zu beachten, dass sich der Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 GG auch auf die Äußerung von Tatsachen erstreckt, soweit sie Dritten zur Meinungsbildung dienen können, sowie auf Äußerungen, in denen sich Tatsachen und Meinungen vermengen und die insgesamt durch die Elemente der Stellungnahme, des Dafürhaltens oder Meinens geprägt werden (BGH, Urteil vom 22.9.2009 - VI ZR 19/08; vom 5.12.2006 - VI ZR 45/05; vom 11.3.2008 - VI ZR 189/06; vom 22.4.2008 - VI ZR 83/07; vom 3.2.2009 - VI ZR 36/07).

Unter Zugrundelegung dieser Grundsätze schließt sich der Senat der vom Landgericht vertretenen Auffassung an, wonach die Äußerung "praktisch Hausverbot erteilt" als Bewertung und somit als nicht entgegnungsfähige Meinungsäußerung anzusehen ist. Mit der Formulierung wird ein Vergleich zwischen den in dem Artikel geschilderten Ereignissen am Ende des Konfliktes zwischen dem Verfügungskläger und Staatssekretärin … im Rahmen der Beratungstätigkeit des Verfügungsklägers im Finanzministerium Nordrhein-Westfalen und einem Hausverbot im formal-juristischen Sinne in der Weise gezogen, dass ausgesagt wird, dass zwar kein Hausverbot im juristischen Sinne erteilt wurde, sich das Geschehen aber im Ergebnis als einem solchen ähnlich darstellt. Damit besteht der Aussagegehalt der Äusserung aber gerade nicht darin, dass dem Verfügungskläger ein Hausverbot im juristischen Sinne erteilt wurde. Vielmehr versteht der Leser sie so, dass dem Verfügungskläger nach Ansicht des Verfassers des Artikels im Ergebnis "so gut wie", "sozusagen", "gewissermaßen" ein Hausverbot im Vergleich zu einem Hausverbot im juristischen Sinne erteilt worden sei. Der Verfügungskläger kann sich nicht mit Erfolg darauf berufen, bei der Formulierung "praktisch" handele es sich lediglich um eine floskelhafte Relativierung der Behauptung, dass ihm Hausverbot erteilt worden sei. Zwar würde der Ansehensschutz leerlaufen, wenn es der Äußernde in der Hand hätte, allein durch den Charakter einer Bewertung in sich tragende Einschübe aus seinen Tatsachenbehauptungen zivilrechtlich weniger angreifbare Meinungsäußerungen zu machen (vgl. BGH Urteil vom 22.9.2009 - VI ZR 19/08 zu Formulierungen wie "Ich glaube nicht, ..." bzw. "Ich glaube, ...", "mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit", "sollen angeblich", "ich meine, dass" oder "offenbar"; vom 22. April 2008 - VI ZR 83/07). So liegt der Fall hier aber nicht. Es handelt sich bei dem Wort "praktisch" nicht um einen substanzarmen Einschub, der den Leser nicht davon abhalten würde, dennoch davon auszugehen, dass ein Hausverbot im förmlichen Sinn erteilt wurde, sondern um ein die Aussage prägendes Werturteil von eigenständiger Bedeutung des Inhalts, dass zwar ein vergleichbarer, ähnlicher, aber eben gerade auch anderer Sachverhalt vorlag. Auch der Umstand, dass die durch den Vergleich mit einem Hausverbot anschauliche Schlussfolgerung des Autors den Schilderungen der tatsächlichen Geschehnisse um die Beendigung des Beratungsverhältnisses vorangestellt ist, steht der Einordnung als Meinungsäußerung nicht entgegen. Der betreffende Aufbau erzeugt ersichtlich Spannung, da der Leser wissen will, warum der Autor zu der betreffenden Bewertung kommt.

Ergänzend ist hinzuzufügen, dass der Verfügungshauptantrag selbst dann nicht zum Erfolg führen würde, wenn man dem Verfügungskläger folgte und die Äußerung als Tatsachenbehauptung im Sinne einer Zusammenfassung der dem Beweis zugänglichen Einzelaussagen im Artikel, wonach Staatssekretärin … dem Verfügungskläger im Rahmen seiner Tätigkeit im Auftrag des Finanzministeriums Nordrhein-Westfalens erklärt haben soll, "Mit Ihnen nicht mehr", "Ich möchte mit Ihnen nicht mehr zusammenarbeiten." und "Wenn Ihr Unternehmen noch einmal einen Auftrag haben will, mit Ihnen nicht mehr.", ansähe. Da die Formulierung "praktisch Hausverbot erteilt" dann nur gemeinsam mit den Zitaten der Staatssekretärin "Mit Ihnen nicht mehr" und "Ich möchte mit Ihnen nicht mehr zusammenarbeiten" als Tatsachenbehauptung anzusehen wäre, hätte eine Entgegnung darauf zulässigerweise nur dahin lauten können, dass dem Verfügungskläger "nicht praktisch Hausverbot erteilt" worden ist. Indem die Entgegnung demgegenüber darauf abstellt, zu erwidern, der Verfügungskläger habe zu keinem Zeitpunkt im Finanzministerium in Nordrhein-Westfalen Hausverbot erhalten, bezieht sie sich auf eine Aussage im Artikel, die dort nicht enthalten war, nämlich eine solche, dass dem Verfügungskläger ein Hausverbot im juristischen Sinne erteilt worden wäre.

2. Hilfsantrag

Es besteht für den Senat kein Anlass, sich mit dem erstmals in der Berufungsinstanz gestellten Hilfsantrag und dessen Erfolgsaussicht zu befassen. Mit der Zurückweisung der Berufung durch Beschluss gemäß § 522 Abs. 2 ZPO werden die Hilfsanträge wirkungslos. Auf den Beschluss des KG Berlin vom 21.7.2006, 9 U 117/06, NJW 2006,3505 wird verwiesen (vgl. auch Thomas/Putzo, ZPO, 30. Aufl., § 522 Rdnr. 14; Zöller, ZPO, 27. Aufl., § 522 Rdnr. 37). Der Verfügungskläger könnte sonst eine mündliche Verhandlung über seine Berufung erreichen, obwohl die Berufung keine Aussicht auf Erfolg hat. Dies gilt erst recht für das Gegendarstellungsrecht, da es der Antragsteller wegen der "Alles oder Nichts"-Prinzips im Falle der erstinstanzlichen Zurückweisung seines Antrags regelmäßig in der Hand hätte, durch geringfügig abgewandelte Hilfsanträge das Berufungsgericht zur Verhandlung auch der offensichtlich unbegründeten Berufung zu zwingen. Damit liefe das gesetzgeberische Anliegen, aussichtlose Berufungen im Beschlusswege zurückzuweisen, leer. Es besteht auch kein Bedürfnis, über die mit der Berufungsbegründung geltend gemachten Hilfsanträge im Berufungsverfahren zu verhandeln. Dem Verfügungskläger blieb es unbenommen, den mit dem Hilfsantrag begehrten Anspruch - im Rahmen der Aktualitätsgrenze zum Gegenstand eines gesonderten Verfahrens zu machen. Auch die Sachdienlichkeit im Sinne des § 533 Nr. 1 ZPO ist somit zu verneinen. Der Hilfsantrag ist auch nicht auf Tatsachen gestützt, die der Senat seiner Verhandlung und Entscheidung über die Berufung ohnehin nach § 529 ZPO zugrunde zu legen hätte, § 533 Nr. 2 ZPO.

Dem Verfügungskläger wird geraten, die Berufung zurückzunehmen.


Weidenkaff
Vorsitzender Richter

Dr. Puhm
Richter

von Geldern-Crispendorf
Richterin

am Oberlandesgericht

Vorinstanzen

LG München I, 9 O 17394/09

Rechtsgebiete

Presserecht